Safety of Life at Sea: Maritime Rescue, Migration, and International Law in the United States, 1945-2023
„Safety of Life at Sea“ adressiert nicht intendierte Folgeerscheinungen grenzüberschreitender Bewegungen von Menschen in Not anhand eines bislang kaum in seinen transkulturellen und transnationalen Dimensionen systematisch untersuchten historischem Phänomen: den rechtlichen und politischen Umgang mit Flüchtlingen und Migranten, die über den Seeweg versuchen, aus politischer Verfolgung oder wirtschaftlicher Notlage zu fliehen. Anhand des amerikanischen Umgangs mit Bootsflüchtlingen nimmt das Projekt dazu das Spannungsfeld von internationalen Regeln und Normen der Seenotrettung, die eine Pflicht zur Rettung in Seenot geratener Menschen und ihre Verbringung an einen sicheren Ort vorsehen, wirtschaftlicher Interessen und nationaler Einwanderungs- und Asylpolitik in den Blick. Beginnend mit der Geschichte und Erfahrung der Vietnamesischen „Boat People“, die am Ende des Vietnamkriegs zu Hundertausenden die Volksrepublik Vietnam auf kleinen Booten verließen und eine internationale humanitäre Krise provozierten, analysiert das Projekt Akteurskonstellationen, Normentwicklung und ihre Rückbindung an nationale Interessenpolitik im Kontext von Ost-West- und Nord-Süd-Konflikt. Die amerikanische Migrations- und Asylpolitik entwickelte sich zwischen der unmittelbaren Nachkriegszeit und der jüngsten Vergangenheit in mehreren Phasen, die jeweils die sich verändernden geopolitischen Konstellationen und nationale Interessenslagen reflektieren. Die quellenbasierte Studie wird die Analyse a) individueller und kollektiver Akteure,
b) internationalem und nationalem Recht,
c) Praktiken und Muster von Migration und Grenzregimes und
d) Narrative, Diskurse und mediale Repräsentationen umfassen.
Es bringt damit eine wichtige zeithistorische Perspektive ein, die mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen im Mittelmeer eine hohe politische Relevanz besitzt. Im Hinblick auf die Raumdimension ergänzt das Projekt das derzeitige historisch-empirische Profil des Fakultätsschwerpunkts durch seinen Fokus auf maritime Räume. Die USA waren maßgeblich an der Erstellung der United Nations Convention on the Law of the Sea (UNCLOS) beteiligt, weigerte sich allerdings den Vertrag zu unterzeichnen. Die Europäische Union trat ihm hingegen bei. Angesichts der gegenwärtig zu beobachtenden europäischen Politik des Umgangs mit Bootsflüchtlingen auf dem Mittelmeer stellt sich die Frage, ob die Europäische Union die amerikanische Exemplarische Forschungsskizze 27 Flüchtlingspolitik der 1970er bis 1990er Jahre als Blaupause für den Umgang mit Flüchtlingen auf dem Mittelmeer nutzt. In methodisch-theoretischer Hinsicht eröffnet das Projekt damit verflechtungshistorische Forschungsperspektiven, die transatlantische Transferprozesse in den Kontext internationaler Normentwicklung einbetten.